Schlichterei und stilles Örtchen

15.10.2019 Britta Handke

Künftig sollen die Besucher über die historische Rampe 6 durch die Schlichterei in die Spinnerei gelangen. Im Hintergrund das Spinnereigebäude mit dem Toilettenturm.

Umbaumaßnahmen an der Spinnerei gehen weiter

Schlichten – dieses Wort kennen die meisten nur im Zusammenhang mit Streit. Ursprünglich stammt der Begriff aber aus der Fertigungstechnik: Schlichten meint das Glätten von Oberflächen. Auch die Spinnerei Herding hatte eine Schlichterei. Dort wurden mit einer speziellen Flüssigkeit die Fäden geschmeidig und widerstandsfähig für die weitere Verarbeitung gemacht.

Aktuell steht die ebenerdige Halle im Mittelpunkt der laufenden Sanierungsarbeiten. In den nächsten Jahren sollen hier Großmaschinen aufgestellt werden, die schon aufgrund ihrer gewaltigen Masse von bis zu 16 Tonnen keinen Platz im Spinnerei-Hochbau finden können. Es handelt sich vor allem um Ausrüstungsmaschinen, die nach dem Weben zum Einsatz kamen. „Nach dem Weben ist ein Stoff ja noch nicht fertig, er musste zum Beispiel gebleicht oder gefärbt werden, auch für einen guten Griff wurde gesorgt“, so Martin Schmidt, wissenschaftlicher Referent am Textilwerk.

Über eine neue Rampe ins Foyer

Kombiniert wird der Umbau mit der Neugestaltung der Höfe von Weberei und Spinnerei, die zum Kubaai-Gelände hin geöffnet werden. Das Ziel ist eine fließende Verbindung beider Museumsbereiche mit Freiflächen und Plätzen zum Verweilen. „Dieses Konzept macht auch einen neuen Eingang in die Spinnerei notwendig“, erläutert Martin Schmidt die Pläne. Besucher und Besucherinnen werden künftig über den Spinnereihof zur historischen Rampe 6 und weiter durch die Schlichterei ins Foyer gelangen. Die zwei Meter Höheunterschied zwischen Hof und Foyer wird durch eine barrierefreie Rampe überbrückt. Der Clou: Dieser Aufgang eröffnet den Gästen besondere Perspektiven auf das Geschehen in der Schlichterei. Sie können die stückweisen Veränderungen, den Aufbau und die Restaurierung der Maschinen hautnah miterleben.

Bald schon sollen die Besucher die Restaurierungen der historischen Maschinen miterleben und aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten können

„Wir können parallel arbeiten, während der Museumsbetrieb läuft, und verlieren so keine kostbare Zeit. Es dauert lange, eine 16 Meter-Maschine Stück für Stück zusammenzusetzen“, so der Historiker. Von der Rampe aus können Besucher dabei zuschauen. Besonders reizvoll dürfte der Blick von oben in die Maschinen sein, der durch die erhöhte Position möglich wird. „Das Konzept erzeugt eine völlig neue Ebene“, schwärmt Schmidt. Normalerweise fänden die Arbeiten rund um eine Ausstellung hinter den Kulissen statt und die Besucher sähen anschließend nur das Ergebnis. Jetzt sind die Gäste von Anfang an live dabei. „Wir erklären natürlich auch, wie die Maschinen funktionieren“, sagt Schmidt. Gestalterisch orientiert sich die Rampe an den bereits in der Spinnerei vorhandenen Farben. „Das Rot werden viele wiederkennen“, ist Martin Schmidt überzeugt.

Der einsturzgefährdete Toilettenturm aus dem frühen 20. Jahrhunderts soll unbedingt erhalten bleiben.

Sicherung und Erhalt des Toilettenturms

Bevor die Arbeiten innerhalb der Schlichterei losgehen, muss der historische Toilettenturm gesichert werden. Er ragt in die wesentlich später entstandene Schlichterei hinein. „Der Turm ist in seiner Form außergewöhnlich“, so Schmidt. Ursprünglich führten Brücken von den Spinnsälen zu dem freistehenden Gebäude mit den „stillen Örtchen“. Später baute man eine Wand dazu und schuf so quasi einen Vorraum. „Fast alle dieser Türme wurden irgendwann abgerissen. Deshalb wollten wir das Relikt aus dem frühen 20. Jahrhundert unbedingt erhalten“, erklärt Schmidt.

Eine technische Herausforderung sei die Absicherung des Gebäudes. Sie soll in Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk (THW) realisiert werden - eine echte Win-Win-Situation. „Das ist eine tolle Übung für uns“, sagen die Ortssprecher vom THW, das sich über die Simulation eines Notfallszenarios freut. Wichtig ist hier vor allem das Abstützen des Gebäudeteils von außen und innen, bevor die endgültige Sicherung des Toilettenturms in Angriff genommen werden kann. Das Textilwerk wiederum ist dankbar über die Bereitschaft der Akteure, sich auf Neues einzulassen.

Kristina Wiegel

Kategorien: Spinnerei · Projekt "kubaai"